Sonntag, 18. Mai 2014
Ein Buch eines Freundes, das mich sehr bewegt hat
Ich kenne Georg Magirius seit meinem (abgebrochenen) Theologie-Studium, aus der Zeit, als ich in Frankfurt in einem kleinen evangelischen, inzwischen abgerissenen, Studentenwohnheim gewohnt habe. Dort habe ich ein paar der Menschen kennengelernt, zu denen ich heute noch innigen Kontakt halte und die für mein Leben wichtig sind - die mich genau so akzeptieren, wie ich bin, und die wirklich alle meine Tiefs, meine Schwächen, meine Süchte, aber vielleicht auch meineliebenswerten Seiten kennen.

Hier nun eine Rezension, die erste überhaupt, die ich geschrieben habe, und in der ich eines der vielen berührenden Bücher, die Georg Magirius auf seine ganz besondere Weise verfasst hat, für den Evangelischen Buchpreis vorgeschlagen habe. Vielleicht betrifft es die eine oder den anderen von euch, die oder der auch ein Kind zu früh verloren hat. Ich kann euch seine Bücher wirklich ans Herz legen. Georg ist ein ganz besonderer Mensch und Autor, der - OBWOHL Theologe - immer auch auf die Schattenseiten des Lebens sieht, auf die Menschen, die eben nicht dauernd funkzionieren, und ihnen mit seinen erzählenden Worten Mut, Trost und Leichtigkeit gibt.

Lest selbst, ob ihr mal Lust habt, ein Buch von Georg Magirius in die Hand zu nehmen.



Trauer auf eine fast heitere Weise - Wie ein Vater ohne seine Tochter weiterlebt

Der Schriftsteller-Poet-Theologe Georg Magirius schreibt in seinem Buch SCHMETTERLINGSTANGO – Leben mit einem totgeborenen Kind, über sein Leben ohne seine Tochter Juliane Magirius, die am 06. Oktober 2010 tot auf die Welt kam. Magirius schreibt stets besonders: mit großem persönlichen Bezug, bunten Erinnerungen und mit einer Fantasie, die beim Lesen oft ein Lächeln hervorruft. Doch dieses kleine Büchlein, der SCHMETTERLINGSTANGO, ragt aus seinen Veröffentlichungen noch einmal besonders hervor. Es gelingt Magirius, den Leser und die Leserin, ob sie nun selbst ein Kind betrauern oder nicht, auf jeder einzelnen Seite mit hineinzunehmen in die vielfältigen Gefühle der Trauer, die den Vater und Schriftsteller seit drei Jahren begleiten.



Juliane Magirius war ein Wunschkind, und sie wird von ihren Eltern jeden Tag zutiefst geliebt und schmerzlich vermisst. Magirius macht sich auf die Suche nach seiner Tochter. Er bringt dem Leser eindringlich nahe, dass auch ein totgeborenes Kind schon erstaunlich viele Erinnerungen und Bilder hervorruft. Magirius erweckt all die vielen kleinen Begebenheiten zum Leben, die er mit seiner Tochter bis zum Tag ihrer Geburt und ihres Todes – bis jetzt – erleben durfte: ihre Schwangerschaft, ihre Bewegungen, ihre Unruhe oder ihr Frieden bei den verschiedenen Geräuschen, bei den Stimmen ihrer Eltern, die Ultraschallbilder, auf denen sie sich weigerte, sich wie gewünscht ablichten zu lassen, ihr Eigensinn und ihre Schönheit. Magirius verweigert bewusst die Rückkehr zur Normalität, das hoch gepriesene „Loslassen!“, wie es ihm viele Menschen ahnungslos gewünscht, es sogar von ihm erwartet haben.



Doch beim Lesen des SCHMETTERLINGSTANGOs erkennt man: ein solcher Verlust geht niemals zu Ende. Auch wenn das Leben weitergeht, wird es nie mehr so sein wie vorher. Denn ein Kind hat im Mutterbauch gelebt, es wird geliebt und nie vergessen werden können. Nur durch Unsicherheit, falsche Angst oder Scham können solch schale Trostworte entstehen. Damit solch peinliche Fehler nicht passieren, entwickelt der Autor sogar einen eigenen „Knigge fürs Kondolieren“, der sich nicht nur höchst amüsant, sondern zugleich auch wirklich hilfreich lesen lässt. Denn wer Trauer kennt, für den lebt der verlorene Mensch mindestens in vielen Erinnerungen weiter. Doch das reicht dem Vater und Autor noch lange nicht. Er geht weit über seine Erinnerungen hinaus und beginnt, von noch viel mehr zu träumen, zu hoffen und zu glauben. Er zeichnet seine Tochter, malt sie in seiner Fantasie, wie er sie wiedersehen will: lebendig, voller Freude und Tatendrang, voll Liebe und Frieden, voller Verständnis für seine Eltern, die erst dann bei ihr sein können. Magirius erzählt nicht von Gewissheiten, sondern von seinem Glauben, den er in einem wunderbaren, ganz persönlichen Glaubensbekenntnis uns, seinen tief berührten Leserinnen und Lesern, anvertraut. Er träumt von Juliane, ihren Vorlieben und ihrem Eigensinn, ihrem Appetit, ihrem Lachen, ihrem Verständnis und ihrem Da-Sein, bis sie alle einander wieder, wie am Tag von Julianes Geburt, in den Armen halten dürfen. Magirius zwingt niemandem seinen Glauben auf, sondern erzählt, was ihm Mut macht, aber auch, dass er manchmal Wut empfindet auf diesen Gott, der sie ihm weggenommen hat, und dass es ihm Kraft gibt, mit seiner „kleinen Ärztin“ zu reden.



SCHMETTERLINGSTANGO ist ein tief berührendes Buch, das jedem beim Lesen die Hand reicht und sagt: Du bist nicht allein, es ist richtig und vollkommen nachvollziehbar, weiter zu trauern, und es ist kraftvoll und äußerst lebendig, an ein Wiedersehen mit dem – nur fürs Erste – fortgegangenen Menschen zu glauben.



Das Buch wendet sich nicht nur an Eltern, die ihre Kinder verloren haben, sondern findet eine Sprache für alle, die einen geliebten Menschen verloren haben. SCHMETTERLINGSTANGO macht uns Mut, nicht um jeden Preis loszulassen, sondern weiter zu leben, indem wir uns den Erinnerungen immer wieder stellen und – vielleicht – Kraft schöpfen durch die Hoffnung, nicht Gewissheit, dass dieser geliebte Mensch doch lebt und wir ihn eines Tages wiedersehen werden.



Das Buch liest sich zauberhaft, man erlebt, zusammen mit dem Vater und Autor, alle möglichen Gefühle: von herzhaftem Lachen bis erinnerndem Weinen ist alles dabei. Man kann die kleinen Abschnitte wunderbar für sich lesen, immer wieder neu entdecken, und man geht trotz des traurigen Ereignisses gestärkt aus der Lektüre hervor. SCHMETTERLINGSTANGO ist für alle zu empfehlen, die sich mit Trauer auf eine fast heitere Weise beschäftigen und deren ganz besondere Bilder und vielschichtige Gefühle kennenlernen oder diese wiederfinden wollen.