Geld und seine Bedeutung, wenn man arm ist
Hallo. In den vergangenen Jahren, seit ich von meiner Rente leben muss und nicht mehr arbeiten kann, ist Geld immer wichtiger geworden. Das Reden über Geld, das Nachdenken über Geld, das dauernde Überlegen, wie man noch zu etwas mehr Geld kommen könnte, was ich noch tun, was ich verkaufen oder - ganz wichtig: wo ich in meinem täglichen Leben noch mehr Geld einsparen könnte. Früher fand ich es unangenehm, von Geld zu reden, ich fand es schrecklich und unvorstellbar für mich selbst, wenn andere über Geld stritten, aber heute ist das Thema mein täglicher Begleiter. Manchmal kann ich ganz gut damit umgehen, kann sogar über meine Armut, meine finanziellen Einschränkungen und meine dauernden Schulden lachen, aber an anderen Tagen ist es einfach nur eine dunkle, schwere Wolke, die mir sehr viel Hoffnung und Lebensfreude nimmt. Ich brauche nicht sehr viel, glaube ich wenigstens, aber es gibt immer mehr Tage - und beileibe nicht nur am Monatsende -, an denen ich mich frage, wie ich die alltäglichen Dinge oder eben die, die mir wichtig sind, wie Katzenfutter oder meine mir noch geleistete Zahnzusatzversicherung, in den kommenden Tagen und Wochen überhaupt unterbringen soll, bis wieder Geld auf mein Konto kommt.

Die letzte Woche war gut, weil ich zwei Aufträge für Gutachten bekommen habe. Das reicht wieder für ein paar kleine Extraausgaben wie die Kosten für die Änderungsschneiderin, die mir mit einem Stoffstreifen einen Rock oder ein Kleid, die ich schon viele Jahre habe, weiter macht, sodass ich sie noch einmal mehrere Jahre tragen kann, bis sie endgültig zerschlissen sind. Bei den Gutachten, die ich seit einigen Jahren für zwei Münchner Publikumsverlage schreibe, lese ich zunächst ein meist englisches Manuskript, zu dem ich mir recht genaue Notizen mache. Das Lesen dauert inzwischen eine knappe Woche, aber am Anfang habe ich gut die doppelte Zeit gebraucht. Danach schreibe ich auf Deutsch eine ausführliche Inhaltsangabe und dann, fast am wichtigsten, kommt eine Beurteilung von mir, ob ich dem Verlag empfehle, die Rechte an dem Buch zu kaufen, oder ob ich glaube, es lohnt sich nicht, das Buch zu übersetzen und zu veröffentlichen. Die Arbeit macht mir inzwischen viel Freude, auch weil ich mich inzwischen wieder viel besser konzentrieren kann als in den ersten Jahren meiner Rente. Durch die vielen Gutachten hat mein Selbstbewusstsein stark zugenommen, was meine eigenen Fähigkeiten und mein Schreiben betrifft. Ohne sie käme ich sicher nicht auf die Idee, mir einen Blog zuzutrauen und ihn vielleicht eines Tages auch anderen öffentlich zu machen. Wenn ich innerlich soweit bin, werden zuerst meine besten Freundinnen und Freunde, die schon so viel von mir wissen, so viele Untiefen und Schwächen, diese Adresse erfahren, und nach ihrem Urteil (was ja immer freundlich, wohlwollend und Mut machend ausfällt, was auch immer ich tue), werde ich wohl versuchen, ein noch öffentlicheres Publikum zu finden.

Zurück zum Thema Geld. Inzwischen habe ich gelernt, darüber zu reden, und ich finde es lange nicht mehr so peinlich wie früher. Ich finde, gerade arme Menschen sollten sich nicht auch noch deswegen verstecken müssen. Es ist keine Schande, arm zu sein, es kann jeden Menschen in unserer Gesellschaft treffen, und es geht so viel schneller, als man denkt. Wir müssen schon genug überlegen, was wir uns leisten können, wo wir hingehen, was für uns alles nicht möglich ist, da sollte uns nicht auch noch die Scham niederdrücken, dass wir darüber nicht reden dürfen. Ich bin nicht glücklich darüber, dass Geld so einen großen Raum in meinem täglichen Leben und Denken einnimmt, und es ist mir arg, wenn ich in den E-Mails an meine Freundinnen und Freunde immer wieder davon schreibe. Aber es ist ein Teil meines Lebens, ich möchte ihn nicht überbewerten oder mich ganz und gar von ihm beherrschen lassen, aber ich möchte ihn auch nicht ausklammern.

Und so kam es, dass ich im vergangenen Jahr, als wir unfassbaren Streit mit unseren ach so ehrbaren Nachbarn hatten und es für uns nicht mehr erträglich war, dort weiter zu leben, meine Freundinnen und Freunde, die mich seit Jahren begleiten und wirklich sehr gut kennen, darum gebeten habe, mir Geld für einen Umzug zu leihen. Was ich von ihnen als Antworten und als selbstverständliche finanzielle Unterstützung, sogar zum Teil geschenkt bekommen habe, übertraf meine kühnsten Erwartungen. Noch jetzt treiben mir das unbedingte Vertrauen und die große Hilfe meiner Freundinnen und Freunde Tränen in die Augen. Ich bin unglaublich dankbar, dass solche Menschen zu meinem Leben gehören. Ich werde euch immer wieder von ihnen erzählen. Es sind ganz besondere Menschen, die ich in den unterschiedlichsten Lebenssituationen kennengelernt habe, und die, wie ich, allesamt keinen geraden Lebensweg hinter sich haben, sondern sich immer wieder mit vielen Umwegen, Irrwegen, Zweifeln, Mut, Neuanfängen, Hinfallen und Wiederaufstehen konfrontiert sehen.

Ich habe bereits als Schülerin angefangen, eigenes Geld zu verdienen, und zwar nicht bei meinen Eltern, für die das Mithelfen im Haushalt eine selbstverständlich unentgeltliche Erziehungsmaßnahme war. Ich habe bei Jahresinventuren von großen Geschäften mitgezählt, ich habe in einer Buchhandlung gejobbt, in einem Café gekellnert und viele Jahre, bis ich Berlin verlassen habe, als Nachhilfelehrerin gearbeitet. Mir hat alles Spaß gemacht, ich liebte neue Erfahrungen und wollte mir für nichts zu schade sein. Neu angekommen in Frankfurt am Main habe ich neben dem Studium in der Nachtschicht Pakete in Postwagen sortiert und bin schließlich als Hilfskraft im Evangelischen Pressedienst gelandet, wo ich wieder blieb, bis ich weitergezogen bin nach München. Nach zehn Jahren des freien Studierens, nach Ausprobieren, über die Stränge schlagen, in dem unglücklichen Versuch herauszufinden, wer ich eigentlich bin, war ich immer noch nicht fertig mit meinem Studium und versuchte verzweifelt, neben all meinen Problemen, neben Bulemie und Alkohol, fürs Examen zu lernen und nebenbei noch 20 Stunden in der Woche für die Fraunhofer Gesellschaft zu arbeiten. Doch es ging nicht mehr. Ich konnte nicht mehr, ich wusste, dass ich mit diesen Problemen niemals mit meinen Ansprüchen einer Einserkandidatin das Examen in einer wildfremden Stadt schaffen würde. Mein damaliger Freund, Nico, mit dem die Beziehung auch nicht gerade einfach war, half mir damals, mich zu einem ganz anderen Schritt durchzuringen: Ich brach schweren Herzens das Studium ab und machte eine Ausbildung zur Verlagsassistentin. Ich hatte Glück: Ich bekam sofort den Ausbildungsplatz samt der finanziellen Unterstützung durch einen damaligen EU-Fonds vom Arbeitsamt. Doch meine Süchte dauerten an, sie waren teuer und kosteten mich unendlich viel Scham und Kraft, dennoch schaffte ich es irgendwie, den Anschein zu wahren, die Ausbildung zu beenden und sogar eine Stelle im Verlag zu bekommen. Während der Ausbildung war mein Vater plötzlich gestorben, an Speiseröhrenkrebs, was, wie ich später erfuhr, eine ganz typische Erkrankung eines ebenfalls versteckten Alkoholikers war. Auch zu meiner Familie werdet ihr noch mehr erfahren. Obwohl ich inzwischen schon sehr viel trank, was sich bei vier Flaschen Sekt oder Wein am Abend nicht mehr wirklich gut verheimlichen ließ, versuchte ich irgendwie, den trüben Schein aufrecht zuerhalten und weiter zu "funktionieren", sprich: eigenes, und damals gutes Geld, zu verdienen. Natürlich war ich oft krank, bekam deswegen Probleme und versuchte dann verzweifelt, durch schlimme Entzugsphasen und krasse Überstunden, wieder gutes Wetter zu machen.

Als ich mich nach langem, langem Ringen endlich von meinem mal depressiven, mal aggressiven, immer aber egozentrischen Freund getrennt habe und ich, mit nunmehr 33 Jahren, fast körperlich schmerzhaft eigene Kinder vermisste, wollte ich noch einmal eine berufliche Veränderung herbeiführen. Ich wollte wenigstens gerne für andere Kinder da sein, ihnen mein Herz schenken, und so bewarb ich mich in einem Kinderdorf für die Ausbildung zur Erzieherin. Und wieder hatte ich Glück, so dachte ich zumindest, denn es ging alles ganz schnell: Ich durchlief die Auswahlverfahren, wurde angenommen, kündigte im Verlag und zog an den Ammersee. Doch es lief alles andere als glatt, im Gegenteil, es ging von Anfang an schief, und noch immer versuchte ich, den trügerischen Schein zu wahren. Doch 2006 kam es zu meinem endgültigen Zusammenbruch. Es ging gar nichts mehr. Ich ließ mich für unbestimmte Zeit krank schreiben, ging für mehrere Monate in eine psychosomatische Klinik, danach kam Arbeitslosengeld und der Anspruch, endlich wieder zu arbeiten, bis ich erkannte: Ich kann nicht mehr zurück. ich kann nicht mehr arbeiten, nicht mehr funktionieren wie andere Menschen. Meine Geschichte, mein schwieriges Aufwachsen, meine Süchte, der Suizid meines geliebten Bruders, der Tod meines Vaters, die Unnahbarkeit und Ablehnung meiner Mutter, meine eigenen unsicheren Perfektionsansprüche und das totale Verausgaben über drei Jahrzehnte - all das hatte mir den Boden unter den Füßen, meine Lebenskraft und Freude, jegliche Normalität, die ich mir immer sosehr gewünscht hatte, entzogen. Und entgegen vieler Unkenrufe, auch aus meiner "wohl"meinenden Verwandtschaft, bekam ich tatsächlich, Gott sei Dank, die volle Erwerbsunfähigkeitsrente zuerkannt, mehrmals für einige Jahre befristet, jetzt auf unbestimmte Zeit befristet. Und obwohl sich mein Leben finanziell erst langsam, dann dramatisch verändert hat, bin ich bis heute unendlich dankbar für die Rente und die Möglichkeit, so leben zu können, wie ich es heute tue.

Zunächst war es mit dem Geld noch gar nicht so schlimm. Ich hatte ein eigenes Auto, lebte inzwischen in einer WG mit einer Freundin aus dem Kinderdorf, Hanna, bei Ausgburg, wir teilten uns alle Kosten, wir hatten mehrere Katzen, kauften biologische Nahrungsmittel und gönnten uns immer wieder schöne Dinge wie Tagesausflüge, eine Reise nach Hamburg, wir kauften Töpfergeschirr und gestalteten unseren Garten mit Rosenstöcken und anderen Blumenschönheiten. Wir brauchten unsere Ersparnisse auf, gerieten immer mehr in den Dispokredit, mein Bausparvertrag und Hannas Lebensversicherung wurden von uns gekündigt, und als auch die aufgebraucht waren, wurde das Geld schon knapper. Auch Hanna hat keinen geraden Lebensweg, sie leidet schon ihr Leben lang unter schwersten Depressionen und hat bereits mehrere Suizidversuche hinter sich, und auch ihr war es schließlich nicht mehr möglich, "normal" weiter zu funktionieren. Nun sind wir zwei Frührentnerinnen, beide 44 Jahre alt, und es ist kaum mehr Geld in Sicht, als uns jetzt zur Verfügung steht.

Es stand schon länger im Raum, doch nun haben wir uns endgültig entschlossen, einen weiteren Teil unserer Freiheit und Unabhängigkeit, aber eben auch eine nicht mehr tragbare finanzielle Belastung zu kappen: Wir werden in Zukunft ohne Auto leben. Es hat uns viel Freude gemacht, aber es geht nicht mehr. Da wir mittlerweile noch einmal umgezogen sind - mit der unendlich großzügigen Hilfe unserer Freundinnen und Freunde -, leben wir heute in einem alten, etwas verschrobenen, nicht ganz auf dem neuesten Stand des Komforts eingerichteten - aber zauberhaften kleinen Häuschen am Rand von Heidenheim. Wir haben einen verwilderten Garten, viel Wald um uns, fünf Minuten zu Fuß in die Stadt, und wir werden in Zukunft zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs sein, die Gegend erkunden und es uns - hoffentlich für lange Zeit - hier wohl ergehen lassen. Zu unserem Glück träumen wir noch von einem kleinen Hund, und wir hoffen, dass wir, wenn wir in ein paar Jahren (???) das geliehene Geld an unsere Freundinnnen und Freunde zurückgezahlt haben, uns statt des Autos vielleicht einen kleinen Gefährten aus dem Tierheim in unser Leben holen können.

In den vergangenen Jahren habe ich exzessiv auf Flohmärkten verkauft, mir ganze Wochenenden, ganze Monate um die Ohren gehauen, um alles zu verkaufen, was in unserem Haushalt irgendwie von Wert war. Wir haben Treppenhäuser geputzt, und ich habe überlegt, wieder als Nachhilfelehrerin zu arbeiten, um irgendwie an Geld zu kommen. Wir kaufen nur noch ganz selten biologische Lebensmittel und haben uns eingeschränkt, wo wir überhaupt nur Möglichkeiten gefunden haben. Die Töpfer- und Gartenmärkte sind schon lange passé, und auch meine geliebten Klamotten und Bücher kaufe ich nur noch sparsam und in Gebrauchtmärkten. Früher hätte ich solche Läden gar nicht wahrgenommen und die Menschen, die dort einkauften, voller Mitleid betrachtet. Heute wird es auch für mich immer selbstverständlicher, nach Dingen aus zweiter Hand zu schauen, genau zu überlegen, ob ich etwas wirklich brauche, ob ich dei Anschaffung nochmal verschieben kann, oder ob ich nicht eine andere Lösung finde mit den Dingen, die ich schon zu Hause habe.

Ich habe mich in den vergangenen Jahren, als ich lange dachte, meine Konzentration, meine Kraft, mein Lebensmut kämen nie wieder zurück, noch einmal neu und ganz gut, wie ich glaube, kennengelernt. Mittlerweile habe ich ja, mit Gottes Gnade, wieder mehr Kraft, wenn auch nicht so, wie ich mich von früher her kannte oder wie ich mich selbst sehen wollte. Neulich habe ich überlegt, wieder als Nachhilfelehrerin zu arbeiten, aber plötzlich habe ich ganz klar erkannt: Das bin ich nicht mehr. Ich könnte es zwar, ich kann gut mit Kindern und Jugendlichen umgehen, auch mit Erwachsenen, und ich kann ihnen auch gut etwas beibringen - aber ich möchte es nicht mehr. Es kostet mich so viel Kraft, ich muss mich nach so einer Begegnung so lange ausruhen und pflegen, bis ich wieder meine öffentliche Fassade abstellen und wieder ich sein kann, dass ich das nicht mehr in Kauf nehmen möchte. Ich will meine Kraft nehmen und: schreiben. Ich werde meinen Mut zusammennehmen, meine Ideen, meine schriftstellerische Kreativität, einen sorgsamen Umgang mit meiner Kraft, und versuchen, mit Gutachten, wenn ich Glück habe: mit Redaktionen, mit studentischen Abschlussarbeiten und mit anderen Texten, die ich lektorieren oder schreiben kann und die vielleicht im Lauf der Jahre noch mehr werden, mein Auskommen zu finden.

Und doch, bei all den Schwierigkeiten, die das wenige Geld im täglichen Leben mit sich bringt: Ich bin glücklich. Glücklicher als zu fast allen anderen Zeiten meines Lebens. Ich lebe in fast allen Dingen so, wie ich es mir wünsche. Ich habe zwar keinen Mann und keine Kinder, aber ich bin nicht allein, ich habe ganz tolle Menschen in meinem Umfeld, denen an mir liegt, so wie ich bin, ich habe meine geliebten Katzen, ich habe ein Heim, ich habe Natur um mich herum, ich kann mir ab und zu ein gebrauchtes Buch oder das ein oder andere Kleidungsstück kaufen. Ich habe wieder ein bisschen Kraft und Lebensfreude, ich habe mit Gottes Hilfe meine Süchte überwunden, ich muss mich nicht verbiegen und über meine Kräfte hinaus funktionieren, ich habe ein kleines Auskommen und: ich darf euch schreiben.

Danke für euer Zuhören.

Eure Miriam